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zeitraum1Zwei Engel, so schien mir, schwebten über einer Wiese, schwebten einen Hügel hinab, die Arme im Wind, der sie trug oder wehte, die Gesichter vergeistigt oder verklärt. Oder vielleicht war nur ich verklärt von ihrem Anblick, denn von dem Rest dieses Theatervideos weiß ich nichts, absolut nichts mehr, nur, dass sich die anwesenden Avantgardisten des jungen amerikanischen Theaters über diese beiden „Engel" amüsierten – man kannte sich ja. In dieser Szene machten alle Taiji, das gehörte damals zum guten Ton. Sie fanden, ich solle doch auch Taiji machen, Dienstag und Donnerstag in der Canalstreet bei einer chinesischen Lehrerin, die gerade „in" war; und so ging ich zweimal in der Woche zum Taiji.

zeitraum2In New York war ich als wissbegierige, junge Bühnenangehörige der Regie gelandet, obwohl ich so jung nicht mehr war, immerhin schon neununddreißig Jahre. Theatergläubig pilgerte ich zu allen „events“ der amerikanischen Avantgarde Uptown und Downtown und schaute viele Stunden sehr interessante Theatervideos in der Lincoln Library an. Doch in Chinatown begegneten mir die Engel des Qigong und berührten mein Herz.

zeitraum4In meiner Erinnerung war es geradezu höllisch, das engelgleiche Schweben. Ich schwitzte, war verzweifelt, hatte zwei linke Füße, zwei linke Arme und sah mir in einer gnadenlos großen Spiegelwand dabei zu, eher verquält und entgeistert als vergeistigt. Ich genierte mich schrecklich. Alle anderen um mich herum schienen genau zu wissen, wie die „Katze die Laute schlägt“, wo sie den „Schwanz des Vogels fassen“ und „vier Affenschritte rückwärts“ gehen, nur ich nicht. Die chinesische Lehrerin lächelte freundlich zu meinen Bemühungen, Arme und Beine zu entwirren, und auch alle anderen waren freundlich und höflich und hilfreich. Am liebsten saß ich in einer Ecke und schaute ihnen zu.

zeitraum4bNoch immer schaue ich gerne zu. Vor einigen Jahren sah ich im Film „Exil Shanghai“ von Ulrike Ottinger eine Szene, die mich, wie einst, gefangen nahm. Ein alter Mann machte Taiji inmitten einer Menschenmenge auf einer Verkehrsinsel. Er trug eine braune Strickjacke und weiße, baumwollene Handschuhe, er war nur von hinten zu sehen. Voll Anmut, voll Andacht wiegte er sich um die eigene Achse, bewegte die Arme und seine weiß beschützten Hände wie in einem heiligen Tanz. Um ihn herum das tosende Shanghai.

zeitraum3Ich würde gern noch einmal nach New York fahren, nach Chinatown, dahin, wo alles anfing, noch einmal in diese schöne Loft, in der ich die ersten Schritte auf meinem langen Weg vom Taiji zum Qigong von einer Chinesin erlernen durfte. Noch lieber allerdings ginge ich nach China, dahin, wo es wirklich anfängt. Ich bin neugierig auf die Wurzeln. Am Qigong interessiert mich die Essenz, die vor mehr als 35 Jahren mein Herz so sehr berührte und immer wieder neu berührt.